We don't suck, we blow!

 

Am Anfang stand das Instrument. Mir war immer klar, dass ich Posaunist werden möchte, sagt Chris Lüers, neben Adrian Hanack einer der beiden Bläser des Sextetts. Aber ebenso schnell war mir klar, dass ich keine Lust habe, ewig nur in klassischen Orchestern zu spielen. Und als Blechbläser hast du ja nicht viele Wahlmöglichkeiten, du kannst ja nicht einfach Kammermusik machen oder so was. So landete ich fast zwangsläufig beim Jazz.

Du fängst halt irgendwann mit einem Instrument an und hast im Grunde genommen noch keinen Plan. Und dann sitzt du da mit deinem Saxofon – in der Klassik ohnehin ein schwieriges Thema – und fragst dich: Wo soll es denn hingehen?, ergänzt Adrian Hanack.

Nun: Die beiden kennen sich schon ewig, und so begannen sie, gemeinsam Musik zu machen. Es folgten viele verschieden Erfahrungen und Formationen, die schlussendlich in We don't suck, we blow! kulminierten. 

Eine Band, so eigenwillig wie ihr Name. Klar, man hört, dass Chris und Adrian Jazz studiert haben. Sie sind die Houdinis der Improvisation. Sie könnten einen Stuhlkreis der Musiktheorie leiten, so gut hören sie einander zu. Sie kennen die Literatur des Genres im Schlaf, finden ihre größte Erfüllung aber dort, wo sie sich von Vorbildern lösen und ihr ganz eigenes Ding machen. 

Ihr eigenes Ding: Den Jazz upfreshen, ihn wegdenken von seinem theoretischen Überbau, ihn mitnehmen zu Funk, instrumentalem HipHop und elektronischen Eskapismen. Ihn einfach nur fühlen und dieses Gefühl so direkt wie möglich in eine Tonfolge übersetzen. Und das alles zusammen mit vier weiteren Musikern, die ihr Instrument ähnlich offen denken und fühlen wie sie selbst. 

 

Natürlich haben diese elitären Modi des Jazz ihre Berechtigung, findet Chris. Aber um es mit einem Satz von Miles Davis zu sagen: „I don't pay you to play in a hotel room, I pay you to play on stage“. Heißt: All das Üben ist gut und schön. Aber entscheidend ist, was auf der Bühne im kollektiven Austausch passiert. Wir stehen auf krasse Interaktionen. 

 

Ob diese Bühne auf einem Technofestival, in einem ehrwürdigen Theatersaal oder in einem verschwitzten Kellerclub steht, ist den sechs Musikern relativ egal. Und ebenso, ob der Zuhörer die Augen schließt, wippt, tanzt, sitzt oder sich sogar hinlegt.

 

Wenn die Verbindung zum Publikum da ist, dann spürt man das, weiß Adrian Hanack. Letztlich geht es für die Zuhörer darum, sich auf den Freigeist der Musik einzulassen und ihr auf ihrem Weg zu folgen.

Adrian hegt da einen mutigen Traum: Ich möchte mit der Band mal ganz ohne Setlist auf die Bühne gehen. Einfach nur spielen und schauen, was passiert. Werden wir eines Tages bestimmt einmal machen, lacht er.

 

Statt „eines Tages“ ist jetzt erst einmal In Vitro, das zweite Album von We don't suck, we blow!, das auf das 2017 veröffentlichte Trocken folgt. Im direkten Vergleich sind die Unterschiede der beiden Alben sofort evident. Wo Trocken die vielen Stile und Einflüsse noch in wohlformulierter Koexistenz präsentierte, ist auf In Vitro alles zu einer großen Schatzinsel der stilinklusiven Abenteuerlust geworden. Alles wirkt so leicht und doch drückend, verspielt und trotzdem prägnant, zielgerichtet und zugleich in alle Richtungen offen. Man erahnt Zitate der Jazzgranden, findet allerdings auch Disharmonisches neben superakurat und unisono Weggroovendem.

 

Doch vor allem hört man die große Freude, die die sechs Musiker beim Einspielen der Platte gehabt haben. Alle gemeinsam in einem Raum, aufeinander hörend, miteinander ringend und schmusend, und sich vor allem – und das ist das Schöne beim Hören – stets blind aufeinander verlassend.

 

Wir betrachten Jazz nicht als Genre, sondern eher als Tool, erklärt Chris Lüers. Wir sind ja alle mit ganz unterschiedlicher Musik aufgewachsen, haben individuelle Einflüsse und betrachten das Tonmaterial daher anders als jemand, der sich nur einem musikalischen Genre verschrieben hat.

 

Das Ideal dieser Band, ergänzt Adrian Hanack, ist die absolute Freiheit zu spielen, was man im Augenblick fühlt und als richtig und passend erachtet. Ja, unsere Musik ist komplex und verfügt über aufwändige Strukturen, aber gleichzeitig darf und soll jeder von uns wissen, dass er jederzeit auch einmal rechts oder links abbiegen kann, um zu schauen, was es dort noch Interessantes zu entdecken gibt. Wir sind zwar ein Kollektiv, aber eins, das mit  der Vereinbarung operiert, dass jeder Musiker jederzeit seiner eigenen Intuition folgen darf.

 

Wenn ich gerade etwas fühle, dann mache ich das halt, bricht Chris es herunter. Das ist auch das Schöne an der Platte: Wir haben uns diese Vorgehensweise auch bei der Aufnahme des Albums gestattet.

 

Chris Lüers                         Posaune

Adrian Hanack                    Saxofon

Florian Kiehn                      Gitarre

Falko Harriehausen            Bass

Johannes Metzger              Schlagzeug

Umut Abaci                         DJ, EFX, Syntheziser